Aufm Bau
- Gerald Schneider
- 2. Jan. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Jan. 2022
Urlaub im Süden - Sonne, Strand, Meer - die üblichen Klischees. Eine Stadt wie Rio de Janeiro hat noch viel mehr zu bieten. Zuckerhut, den Jesus auf dem Corcovado, Copacabana, Samba, das leichte Leben. Das denke ich auch - als ich mich dorthin aufmache, um meine damalige Freundin und spätere Frau zu besuchen.
Wir haben uns lange nicht gesehen. Entsprechend groß ist die Freude. Gemeinsame Zeit, was zusammen unternehmen - abchecken, ob die Chemie stimmt. Ich im Urlaub, sie aber nicht. Schon vorher warnt sie mich. Sie werde Zeit für mich haben, sicher. Aber könne sich nicht ebenfalls drei Wochen frei nehmen. Ihr Job erlaube das nicht. Als selbstständige Innenarchitektin musste es weitergehen. Alles stehen und liegen lassen, das geht nicht.
Ja okay, das passt schon. Ein bisschen Sonne, Strand und Samba wird es schon geben.
Nach zwölf Stunden Flug komme ich in Rio an. Sie erwartet mich schon am Flughafen. Die Freude ist riesig. Zu lange haben wir uns nicht gesehen - nur im Videochat. Jetzt waren wir endlich wieder zusammen. Also rein ins Auto, nichts wie weg vom Flughafen. Und dann? Zu ihr nach Hause, schnell duschen und dann Zeit füreinander? So hatte ich mir das vorgestellt. War aber nicht.
Der erste Weg führt Schnurstracks zu einer Baustelle. Immerhin im Stadtteil Botafogo. Der Zuckerhut liegt direkt daneben, davor der Stadtstrand entlang der großen Bucht. Alles wunderbar. Um mich rum: Kahle Wände, herunterhängende Kabel, Farbeimer, Säcke mit Zement und der Geruch nach Verdünner in der stickigen Luft. Eine Firma hat das gesamte Stockwerk angemietet und will es nun nach eigenen Vorstellungen umgestaltet wissen. Meine Freundin leitet das Projekt. Ich genieße den Ausblick so gut ich kann, grüße die Arbeiter und warte, während meine spätere Frau den Baufortschritt kontrolliert, den Arbeitern Anweisungen gibt, Pfusch bemängelt und allerlei Telefonate führt mit Auftraggeber, Lieferanten, Dienstleistern.
Ok, komm, wir sind hier fertig. Endlich, dann also jetzt Strand und Samba etc. Dachte ich. Also rein ins Auto und ab … in ein Shopping Center in einem anderen Stadtteil der Millionenmetropole. Dort baut sie einen einstigen Laden in ein Cafe um. Wieder Farbeimer, Kabel, Zementsäcke. Dieses Mal aber ohne Blick auf den Zuckerhut.
Dann aber gehts nicht auf eine weitere Baustelle. Sondern zu ihr nach Hause. Ein nette, kleine Wohnung in Niteroi, gleich gegenüber von Rio. Schnell Duschen was trinken, essen und fast bewusstlos ins Bett fallen. Der Jetlag war leicht, aber nicht zu ignorieren. Inzwischen bin ich ohnehin seit gut 28 Stunden auf den Beinen.

Am nächsten Tag dann Strand, Sonne, Zuckerhut? Die Badehose trage ich unter der Shorts, das Handtuch steckt im kleinen Rucksack. Zuckerhut ja, wieder vom Fenster der Baustelle in Botafogo aus. Die Arbeiter sind wieder da. Inzwischen schauen sie mich etwas mitleidig an. Sie kassieren zwar den einen oder anderen Anschiss von meiner Freundin, weil nicht alles so ausgeführt ist, wie ausgemacht. Aber sie hatten begriffen, dass ich eigentlich hier war, um Urlaub zu machen und meine Freundin zu sehen, mit allem, was man da halt so macht. Der Besuch von Baustellen gehört da eigentlich nicht ins Programm.
Am dritten Tag, sie kennen inzwischen meinen Namen, zeigt mir einer der Arbeiter einen Nebenraum mit kleinem Balkon. Von dort ist der Blick auf den Zuckerhut noch besser. Wenn ich meinen Urlaub schon zwischen Staub, Wandfarbe und Estrich verbringen würde, sollte ich wenigstens gut sehen können, was mir sonst so entgeht. Am Tag darauf teilt einer von ihnen sogar seinen Kaffee aus der Thermoskanne mit mir.
Und die Baustelle in dem Einkaufszentrum gibt auch noch und noch eine wieder woanders. Bei denen geht es aber immer etwas schneller.
Inzwischen ist der fünfte Tag meines Rio-Aufenthalts gekommen. Wieder geht es in Richtung Botafogo. Ich stelle mich schon darauf ein, die Arbeiter wieder zu sehen und den zum greifen nahen Zuckerhut nur aus dem Bürofenster. Dieses Mal aber biegt sie nicht in die Tiefgarage des Bürohauses ab. Es geht etwas weiter - zum Fuße des Zuckerhuts, dorthin wo die Seilbahn die Besucher aufnimmt. “Heute hab ich frei”, erklärt mir meine Freundin und strahlt. Ich bin etwas überrascht - hatte ich mich doch schon etwas an den Baustellengeruch gewöhnt. Ticket kaufen und rein in die Seilbahn.
Der Ausblick von dort oben ist noch grandioser als es in den Reiseführern steht. Wir haben Glück, keine Wolke, kein Dunst schränkt die Sicht ein. Unter uns das pulsierende Rio. Copacabana, Ipanema, Corcovado, der Atlantik, das Meeresgebirge in und um Rio, gegenüber der Bucht ihre Heimatstadt Niteroi. Und da oben wir beide. Es riecht nach Meer, nicht nach Verdünner, das Bier schmeckt besser als der Thermoskannen-Kaffee des freundlichen Arbeiters. Ich halte Sie im Arm und es fühlt sich alles so richtig an. Urlaub in Rio - Sie und ich. Und da unten in Botafogo, fast zum greifen Nahe, der Büroturm mit ihrer Baustelle.
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