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Die Papiere

  • Autorenbild: Gerald Schneider
    Gerald Schneider
  • 2. Jan. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Jan. 2022

Exotik sucht man in der Regel fernab der Heimat. Asien, Afrika, Südamerika. Doch auch fast vor der Haustür kann es ganz anders sein, als gewohnt - in Österreich zum Beispiel. Nein, nicht auf den Alpengipfeln oder am goldenen Dachl von Innsbruck, nicht am Wolfgangsee oder am Wiener Heldenplatz. Der Neusiedler See hat etwas von Exotik. Hier im Burgenland geht Österreich in die ungarische Tiefebene und die Puszta über. Der See, ein großes, maximal zwei Meter tiefes Gewässer ist ein Mücken- und Vogelparadies, das Klima im Sommer heiß und etwas feucht. An den steilen Hängen rund um den See wächst Wein - kein schlechter. Die Architektur der kleinen Orte rund um den See hat so gar nichts von dem Alpenländischen, wofür Österreich sonst so bekannt ist. Niedrige, weiß getünchte Häuser ducken sich an die Weinberge. Der Balkan hat längst begonnen. Und alles mutet etwas Mediterran an.

Schön, anders, nicht zu hektisch, für die innere Ruhe und kulinarisch ein Genuss. Aber wenn man schon mal da ist, sollte man die Gelegenheit nutzen, sich weiter umzusehen. Budapest, die Perle an der Donau, liegt nur ein paar Stunden mit dem Bus entfernt. Für einen ersten Eindruck soll eine Tagestour ausreichen. Also Tickets gebucht und am nächsten Tag um halb fünf Uhr früh gehts los. Der rote Bus hält an, ich steige ein. Der Fahrer begrüßt die noch etwas schlaftrunkenen Fahrgäste. Er heißt Peter. Nun gehts weiter, weitere Mitfahrer gilt es aufzusammeln. Peter unterhält alle mit ein paar Geschichten und Witzen. Sein Mikrofon schaltet er gar nicht erst aus.


An einer Haltestelle steigen nicht nur andere Tagesausflügler ein, sondern auch die Reiseleiterin. Etwas überdreht und übermotiviert begrüßt auch sie am frühen Morgen alle. Sie heißt Petra. Peter und Petra. So ein Zufall. Die beiden überschlagen sich fast vor Freude, lassen keinen noch so flachen Witz über ihre Namen aus. Und Petra erinnert alle im Bus im Minutentakt daran, dass auch jeder seinen Reisepass dabei haben müsse. An der Grenze gehe es sonst für jene nicht weitere, die ihrer Papiere vergessen hätten. Dann wieder eine mal mehr, meistens weniger witzige Bemerkung zu der Peter-Petra-Situation. Und fei ja den Pass dabei haben, denn ohne Pass heißt es heute nicht Verzückung in Budapest sondern Verdruss an der Grenzstation.

Noch ein paar wenige Stopps, weitere Mitfahrer aufsammeln, dann gehts in Richtung Grenze. Die ist nicht weit. Petra wird nicht müde, an die Bedeutung des mitgeführten Passes zu erinnern. Anders geht es damals nicht. Kein freies Reisen nach belieben, sondern Grenzer, Pässe, Stempel.

Die Grenzstation ist riesig. Der Verkehr zwischen den beiden einstigen Mitgliedern der Donaumonarchie dicht. Autos, Lastwagen, Busse mit Tagesausflüglern nach Budapest oder heimreisenden Arbeitern aus ganz Europa. Trotz des Trubels geht es flott voran - aber ein paar Minuten anstehen heißt es dann doch. Petra erinnert alle - an was wohl - an die Pässe. Dann ist unser Bus an der Reihe für die Grenzkontrolle.


Auf einmal wird die sonst so redselige Petra ganz still. Ist irgendwas? Macht der Grenzbeamte Stress? Nun ja, ein Person im Bus hat ihren Pass vergessen. Nämlich Petra. Kleinlaut meldet sie sich noch einmal über das Mikrofon. Sie müsse jetzt aussteigen, ihr sei das alles sehr peinlich, aber viel Spaß in Budapest…


Peter versucht zu trösten. Im breitesten Burgenländisch meint er, wie leid ihm das täte, und dass das ja echt deppert sei aber doch jedem Mal passieren könne und überhaupt. Petra steigt aus. Für die Reiseleiterin ist die Reise zu Ende. Peter ist mitfühlend und lässt sie, noch auf österreichischer Seite, aussteigen. Die Bustür faltet sich noch zu - sein Mikrofon ist gleichwohl offen - murmelt Peter vor sich hin: “Blede Suppenhenn!”

Keiner im Bus widerspricht. Seinen Pass zu vergessen kann in der Tat passieren. Bei einer Reiseleiterin sollte das nicht sein. So geht es ohne Reiseleiterin weiter nach Budapest. Aber Peter erweist sich auf der Fahrt als ebenfalls bestens informiert. Neben allerlei blöder Witze kennt er die Route und ihre Geschichten.

Die Stadtführung in Budapest übernimmt ohnehin eine ungarische Touristenführerin. Zurück nach Österreich geht es dann, um viele Eindrücke reicher, ohne Zwischenfälle. Jeder hat ja seinen Pass dabei.



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