Der Hut machts
- Gerald Schneider
- 2. Jan. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Jan. 2022
Ein Hut ist mehr als nur ein modisches Accessoire. Selbst in Wüstengegenden kann es im Winter empfindlich kalt werden.
Beim Studium sollte es auch ins Ausland gehen. Wer Englisch studiert, der soll gefälligst auch mal in einem englischsprachigen Land gelebt haben. Die USA sollten es sein. Und dann möglichst etwas exotisch. Arizona? Das klang doch gut. Tempe vor den Toren Phoenix' erfüllte die Erwartungen. Ein nettes Städtchen und anders als viele amerikanische Trabantenstädte mit schicken Stadtkern und großem Uni-Kampus. Tempe ist stolzes Heim der Arizona State University, an der auch ich für zwei Semester studieren sollte.
Da trifft es sich noch dazu ausgesprochen gut, dass Tempe eine Partneruni meiner deutschen Universität war. Das machte vieles leichter. Am Anfang nimmt mich meine amerikanische Gastfamilie unter ihre Fittiche, dort kann ich die ersten Wochen bleiben, bis ich was passendes gefunden habe. Doch die Beziehungen bleiben eng. Immer wieder treffen wir uns, unternehmen was zusammen. Und dann steht Weihnachten vor der Tür. Den Armen deutschen Studenten könnte man ja nicht einfach so da sitzen lassen. Also soll ich über die Feiertage mit nach Los Angeles, wo der Opa wohnt.
So machen wir uns auf den Weg, meine Gasteltern, deren beiden Kinder, die Freundin des Sohns und ich. Einige Stunden durch die Sonora-Wüste, immer in Richtung Westen. Vorbei an Kakteen, ausgetrockneten Flussläufen und der hügeligen Wüstenlandschaft.
Dann sind wir da, in Covina, ein Vorort in den Hügeln um die Megacity. Das Haus ist von Kopf bis Fuß auf Weihnachten getrimmt. Engelchen und Nikoläuse auf jedem Regal, künstlicher Schnee auf dem Fenstersims, und vor der großen Wohnzimmerscheibe steht gar eine kleine weihnachtliche geschmückte Stadt aus kleinen Modellhäuschen, die an Rothenburg-ob-der-Tauber-Behaglichkeit erinnert. Aus Spieldosen klingen "Jingle Bells" und "Rudolph the rednosed Reindeer". Mein erstes Weihnachten in der Wärme. Das festlich geschmückte Haus steht etwas in Kontrast zu den Temperaturen. T-Shirt reicht tagsüber und selbst am Abend muss es nicht mehr sein als eine leichte Jacke.
Auch der Heilige Abend fällt etwas anders aus, als ich ihn von daheim gewohnt bin. "Life of Brian" muss sein, dann ein paar Runden Kartenspielen und das eine oder andere Budweiser. Dann die Bescherung. ich habe noch ein paar Mitbringsel aus der Heimat dabei. Ich bekomme ein schickes Notizbuch - der Student kann's brauchen. Und Opa bekommt von seiner Schwiegertochter einen neuen Hut. Nein, keinen Cowboyhut oder sowas, ein weiches Filzmodell für den älteren Herrn, mit unaufdringlichem blauen Schottencaro. Und er sitzt perfekt. Opa ist happy, den Rest des Abends verbringt er mit Hut. Und der begleitet ihn auch die nächsten Tage. Das Programm ist voll: Disney Land, Knotsberry Farm, ein Vergnügungspark mit Achterbahnen und kleiner Westernstadt. Opa ist immer dabei, obwohl nicht mehr allzu gut zu Fuß, dafür immer stolz mit seinem neuen Hut.
Und danach, nach einer kleinen Tour durch Beverly Hills, landen wir dann am Santa Monica Pier: ein Rummel an einem einstigen Schiffsanleger, dessen hölzerne Konstruktion weit ins Meer hinaus ragt. Riesenrad, Losbuden, bunter Luftballons, Zuckerwatte und am Ende des Piers die schier unendliche Weite des Pazifiks.
Natürlich darf dort auch eine Kneipe nicht fehlen. "Seht euch nur um, wir gehen da schon mal rein", meinten die älteren. Die Jüngeren, der Sohn meier Gastfamilie, dessen Freundin, seine Schwester und ich drehen noch ein paar Runden im Vergnügungsviertel. Als wir dann ebenfalls in der Kneipe zum Rest der Gruppe hinzustoßen, steht am Tisch schon ein leerer Pitcher, die Biergläser sind noch voll. Also rasch den nächsten 1,5-Liter Krug bestellt und ein paar neue Gläser. So geht's dann erst mal dahin. Pitcher um Pitcher leert sich. Und der Bartender ist gar nicht unglücklich über die trinkfreudige, fröhliche Runde. Denn ansonsten ist an diesem Tag kurz vor Silvester nicht viel los. Seinen Hut legt Opa auch zum Biertrinken nicht ab. Und er ist nicht der einzige Hutträger: Auch der Barkeeper trägt einen. Eine rote Nikolaus-Zipfelmütze mit einem Schild wie eine Baseballkappe. Darüber prangt der Schriftzug einer bekannte Whiskey-Likörmarke. So steht er mit seiner Baseballkappenzipfelmütze hinter seinem Tresen und füllt Pitcher um Pitcher.
Aus der Jukebox leichte Rock- und Countrymusik. Und weil außer gelegentlichem Bierzapfen nicht viel zu tun ist, gesellt sich der Barkeeper zu uns. Die illustre Runde hat es ihm wohl angetan. Und dann kommt, was kommen muss: Opa will mal den anderen Hut probieren. Also, kein Problem. Opa trägt nun die Nikolaus-Zipfelmütze, dem Barkeeper steht Opas neuer Hut glänzend.
Am nächsten morgen, der Bierdurst ist verflogen, sucht Opa seinen neuen Hut. Immerhin hat er den ja von seiner Schwiegertochter geschenkt bekommen.

Aber der ist nicht da. Stattdessen hängt in der Garderobe eine rote Basballkappen-Nikolaus-Zipfelmütze. Der heilige Abend ist gerade mal drei Tage her.
Das war's dann mit Opas neuem Hut. Nochmal zum Santa Monica Pier? Dazu reicht die Zeit nicht und Vormittags hat die Kneipe sicher zu. Also geht's ohne neuen Hut, dafür mit Nikolausmütze und Opa zurück nach Tempe. Seither steht am Rummel von Santa Monica ein Barkeeper mit schickem Hut hinter dem Tresen. Und die Baseballkappenzipfelmütze? Die begleitet mich seither immer mal wieder zum deutschen Christkindlmarkt.
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