Wechselkurs
- Gerald Schneider
- 2. Jan. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Jan. 2022
In schickem graublau lugt sie aus der Geldbörse. Die nagelneue Kreditkarte soll das Reisen einfacher machen. Weltweit kostenlos an jedem Automaten Geld abheben - alles kein Problem. Immer flüssig wenn es nötig ist. Und einen besseren Kurs als beim Wechsel von Bargeld an einer Wechselstube gibt es obendrein. Ein tolles Versprechen, vor allem wenn man sowieso eine Reise plant. Wie komme ich im Urlaub an Geld? Zu Hause schon wechseln, genug Euros und Dollars einpacken, damit ja nichts schief geht? Gleich nach Ankunft an der Wechselstube die fremde Kohle holen? Reiseschecks? Nein, die sind doch völlig oldschool.

Also Kreditkarte ins Portemonnaie und ab zum Flughafen. Israel ist das Ziel. Am Anfang geht's in den Norden, See Genezareth, Tiberias. Alles funktioniert. Karte in den Geldautomaten, Geheimzahl, Betrag wählen und ratsch, die Schekel liegen im Ausgabefach. Ganz ohne Bargeld und nur mit Karte ging es damals noch nicht. Nächstes Ziel Jerusalem. Ein Wasser gegen die Hitze hier, ein kleines Souvenir dort, alles läuft. Als die Schenkel langsam ausgehen, kein Problem, der nächst Geldautomat ist nicht fern. Also, rein mit der Kreditkarte und .... Nichts. Der Automat will nicht, spuckt das graublaue Teil wieder aus.
Na gut, ums Eck wartet der nächste Automat. Also, selbes Spiel und .... Nichts. Ok, der nächste. Gleich in der Nähe der Klagemauer. Da kann doch eigentlich nichts schief gehen. Und .... Nichts. Hinter mir gehen orthodoxe jüdische Familien vorbei, Touristen, Sicherheitskräfte. Und ich, vor dem Geldautomaten mit der Kreditkarte in der Hand, aber ohne Geld. Warum nur? Die Karte sollte doch weltweit funktionieren. Und nagelneu ist sie auch. Chip kaputt? Magnetstreifen defekt? Sollte etwa allen Automaten gleichzeitig das Geld ausgegangen sein?
Also, nächster Versuch. Ich finde einen Automaten in einem internationalen Hotel. Und ja ... Nichts. Nun gut, ein paar Schekel für das nötigste, Mineralwasser, hab ich noch in der Tasche. Aber so langsam ....
Es kann doch nicht sein, dass im heiligen Land niemand mein Geld haben will, beziehungsweise mich damit versorgen, damit ich es unters Volk bringen kann. Aber nein, nichts geht. Warum es am Anfang alles funktioniert hat? Keine Ahnung.
Dann die Idee. Am nächsten Tag geht's in die Westbank. Also irgendwie ja sowas wie raus aus Israel. Vielleicht funktionierts da. Bethlehem. In Sichtweite der großen Mauer, die Israel von den Palästinensergebieten trennt, ein Geldautomat. Also nichts wie hin. Karte rein und ... nichts. Das darf doch nicht wahr sein.
Eine Chance gebe ich mir noch. Gegenüber der Geburtskirche eine Filiale der Cairo-Amman-Bank. Klingt irgendwie weltgewandt. Die Verbindungen der Palästinensergebieten zu Jordanien sind ohnehin eng, kein Wunder, dass es hier so eine Filiale gibt. Vor dem Eingang blinken zwei Geldautomaten. Einen Versuch ist es wert.
Kurz bevor ich mein Ziel, den Kartenschlitz des Geldautomaten, erreiche, werde ich gestoppt. Ein Mann spricht mich an. Etwas schmuddelig, ungepflegter Bart. In seinen Pranken jongliert er dicke Geldbündel.
"Want to change?", fragt er leise, mit starkem arabischen Akzent. Ein bisschen konspirativ wirkt das alles. Der Platz hinter uns ist am Abend fast menschenleer und da, vor der Bank, wir beide, ein verzweifelter Tourist mit weltweit funktionierender graublauer Kreditkarte und der Mann. Mit dicken Geldbündeln.
"Nein, nein - thank you", stammle ich und mach mich fest entschlossen auf die letzten Meter zum Geldautomaten.
Also, Karte rein und - ja, er will meine Pin wissen und den Betrag. Jawoll, es funktioniert. Der Urlaub neigt sich dem Ende. So 50 Euro sollen es sein, mal nicht übertreiben. Rund 150 Schekel. Gut, 150 gewählt. Grüne Ok-Taste gedrückt, der Automat rattert. Und in den Händen halten ich 150 - nein keinen violetten und bräunlichen Schekel, sondern grünliche jordanische Dinar.
Ok, durchatmen. Was ist das? Welchen Wert hat das? Nur eines ahne ich sofort: bezahlen kann ich hier damit nichts - erst recht nicht am kommenden Tag, wenn's zurück nach Israel geht. Verdutzt wende ich mich vom Automaten ab. Gehe ein paar Schritte. Der Geldwechsler hat das alles beobachtet. Er lungert am Geländer. Als er mein verwirrtes Gesicht sieht, tritt er wieder näher: "Want to change now?" Er kennt diese Szene offenbar. Seinen Geschäftssinn muss man ihm lassen. Ich bin wohl nicht der erste ahnungslose Tourist, der hier auf einmal mit einer Währung in der Hand da steht, mit der er so rein gar nichts anfangen kann.
Ich bin überfordert. Aber was soll ich machen? Also, ja, ich will. Ich reiche ihm meine 150 Dinar. Die Kreditkarte ist längst schon wieder im Geldbeutel verschwunden. Dann entrollt er ein Geldbündel und fängt an, mit seinen Wurstfingern Schein um Schein zu zählen. Es nimmt gar kein Ende mehr. Nicht dass ich gewusst hätte, welchen Wechselkurs dieser Dinar hat. Aber als er mir dann doch einen ansehnlichen Stapel an Schekel aushändigt, weicht die Skepsis. So viel, wie er mir gegeben hat, das muss ja stimmen.
Ich bin wieder liquide und statt 150 Schekel habe ich fast 450 in der Tasche. Denn wie sich später herausstellt - der Wechselkurs für jordanische Dinar zum Euro liegt bei 1:1. Übers Ohr gehauen hat mich der geschäftstüchtige Geldwechsler in Bethlehem kaum. Ein bisschen vielleicht, aber nichts, was man nicht auch von Wechselstuben kennt. Ob er mir wohl einen besseren Kurs gegeben hätte, wäre ich gleich auf sein Wechselangebot eingegangen? Aber Euroscheine zum Tauschen hatte ich ja nicht.
Nur was mach ich jetzt mit so viel Geld? Die Souvenirs liegen schon im Koffer und übermorgen geht's wieder zurück nach Hause. Zum Glück bleibt ein Mitglied aus der Reisegruppe länger im Land und ist bereit, mir meine überflüssigen Schekel gegen Euro abzunehmen.
Aber warum ging die Kreditkarte nicht? Ganz klar ist mir das bis heute nicht. Aber wie sich später herausstellt, teilt den Norden und den Süden Israels - zumindest war das damals so - eine unsichtbare Grenze. Auf beiden Seiten findet ein anderes Abrechnungssystem Anwendung, das zwar kein Kreditkartennutzer sieht, das aber den ganzen Hokuspokus abwickelt, der dann auf dem Kontoauszug dokumentiert ist. Leider kannte meine Karte nur das eine, das im Norden Israels und offenkundig auch in Jordanien und Ägypten verbreitet ist.
Die graublaue Kreditkarte steckt bis heute im Geldbeutel und sie hat mich seither nicht im Stich gelassen. Nur, allein auf sie verlasse ich mich nicht mehr, gleich dahinter steckt noch eine zweite, von einer anderen Bank.





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